Entdeckung des Zeigarnik-Effekts: Hintergrund und Studien
Der Zeigarnik-Effekt wurde in den 1920er Jahren von der russischen Psychologin Bluma Zeigarnik entdeckt, die damals an der Universität Berlin unter dem berühmten Gestaltpsychologen Kurt Lewin forschte. In einem alltäglichen Szenario fiel ihr und Lewin etwas Interessantes auf: Kellner in einem Café erinnerten sich besser an offene, noch nicht bezahlte Bestellungen als an bereits abgeschlossene. Diese Beobachtung inspirierte Zeigarnik zu systematischen Untersuchungen, die sie später als „Zeigarnik-Effekt“ bekannt machte.
In ihren Experimenten (1927) ließ Zeigarnik Versuchspersonen eine Reihe einfacher Aufgaben lösen, etwa Rätsel oder das Basteln mit Objekten. Manche der Aufgaben ließ sie die Teilnehmer vollständig abschließen, andere unterbrach sie mittendrin. Danach wurden die Teilnehmer gebeten, sich an die erledigten und unerledigten Aufgaben zu erinnern.
Das überraschende Ergebnis: Die Probanden erinnerten sich signifikant besser an die unterbrochenen, unvollendeten Aufgaben als an die abgeschlossenen. Zeigarnik interpretierte dies als Hinweis darauf, dass „unerledigte Geschäfte“ im Gedächtnis eine stärkere kognitive Spannung erzeugen, die uns dazu treibt, die Aufgabe gedanklich weiter zu verfolgen, bis sie abgeschlossen ist.
Wie der Effekt im UX-Design funktioniert
Im UX-Design lässt sich dieser Effekt clever nutzen, um Nutzerinnen und Nutzer durch unvollendete Aktionen zu motivieren, weiterhin mit einer Anwendung zu interagieren. Das Prinzip des „unerledigten Geschäfts“ (Principle of Unfinished Businesses) – also der offene Status einer Aufgabe – bleibt im Kopf und drängt uns unbewusst dazu, diese abzuschließen.
Weitere Beispiele aus deinem Alltag: Du hast sicher schon bemerkt, wie Fortschrittsbalken auf Webseiten oder To-Do- bzw. Checklisten auf Plattformen dich dazu bringen, weiterzumachen. Die visuelle Darstellung eines unvollendeten Prozesses sorgt dafür, dass du dich an die „offene Aufgabe“ erinnerst.
E-Learning-Anwendungen nutzen dieses Prinzip bewusst, um Nutzer durch Kurse oder Lektionen zu führen. Wenn zum Beispiel in einer Lernplattform wie Duolingo ein Fortschritt von 90 % angezeigt wird, fühlt man sich motiviert, die restlichen 10 % zu erledigen.


So kannst Du den Effekt für dein E-Learning nutzen
Im Bereich des E-Learnings hat der Zeigarnik-Effekt besonders großes Potenzial. Offene Aufgaben motivieren Lernende, Kurse zu beenden, und helfen dabei, die Nutzerbindung zu erhöhen.
Die Idee ist simpel: Zeigarnik zufolge wollen Menschen offene Aufgaben abschließen. In einer E-Learning-Plattform kann dies durch Gamification-Elemente verstärkt werden. Lernziele, die visuell als „fast abgeschlossen“ dargestellt werden, erzeugen das Bedürfnis, diese auch wirklich zu erreichen. Microlearning-Ansätze, bei denen Aufgaben in kleine, leicht zu bewältigende Schritte unterteilt werden, unterstützen dies.
Nehmen wir das Beispiel der App Memrise, die Nutzer dazu anregt, jeden Tag ein paar Vokabeln zu lernen. Der Fortschrittsbalken erinnert an den noch offenen Lernstoff, während Belohnungen, wie neue Levels oder virtuelle Abzeichen wie Badges, den Lernerfolg feiern.
Best Practices: So integrierst du den Zeigarnik-Effekt in dein UX-Design
Damit der Zeigarnik-Effekt in deinem UX-Design wirklich funktioniert, solltest du bestimmte Usability-Prinzipien beachten:
Fortschrittsanzeigen einbauen. Nutze Balken oder andere visuelle Hinweise, um Nutzern ihren Lernfortschritt zu verdeutlichen. Ein fast fertiger Fortschrittsbalken ermutigt zum Weitermachen.
Aufgaben schrittweise präsentieren. Stelle Lerninhalte in kleinen Einheiten dar. Das sorgt dafür, dass der Nutzer sich kontinuierlich an die offenen Aufgaben erinnert.
Checklisten und To-Do-Listen integrieren. Zeige dem Nutzer, welche Aufgaben er noch erledigen muss. Das funktioniert besonders gut bei Kursmodulen oder Lernpfaden.
Lernmaterialien sequenziell freischalten: Entlaste den Nutzer, indem du Lerninhalte nach und nach freischaltest. Das baut Spannung auf und motiviert, weiterzumachen, um den nächsten Abschnitt zu erreichen. Besonders gut funktioniert dies bei Kursen mit mehreren Modulen oder Stufen

Visualisiere den Abschluss von Aufgaben. Feiere jede erledigte Aufgabe. Wenn eine Aufgabe abgeschlossen wird, kannst du durch visuelles Feedback (wie Häkchen oder Animationen – etwa der berühmte Konfettiregen) den positiven Moment unterstreichen. So bleibt der Nutzer oder die Nutzerin motiviert und sieht, dass er Fortschritte macht.
Kleine Erfolge belohnen. Das Belohnen kleiner Erfolge ist eine bewährte UX-Strategie, die eng mit dem Zeigarnik-Effekt verknüpft ist. Gamification-Elemente wie Abzeichen (Badges), Punkte oder das Erreichen von Levels schaffen kleine, erreichbare Meilensteine, die dem Nutzer das Gefühl geben, kontinuierlich Fortschritte zu machen. Psychologisch gesehen aktiviert jede Belohnung das Belohnungssystem im Gehirn, indem es Dopamin ausschüttet – ein Neurotransmitter, der uns motiviert, mehr von dieser positiven Erfahrung zu suchen. Dies verstärkt das Bedürfnis, die Aufgabe fortzusetzen und abzuschließen.
Beispielsweise können E-Learning-Plattformen den Lernfortschritt in Form von Abzeichen visualisieren, die für das Erreichen bestimmter Module oder Lektionen vergeben werden. Solche Belohnungen sorgen dafür, dass der Nutzer nicht nur die übergeordnete Aufgabe im Blick behält, sondern auch die kleineren, schnelleren Erfolge wahrnimmt. Dies reduziert die mentale Belastung und hält die Motivation hoch, selbst wenn der Weg zum endgültigen Abschluss noch lang ist.
Fazit
Der Zeigarnik-Effekt ist ein mächtiges Werkzeug, um im UX-Design, vor allem im E-Learning, die Motivation der Nutzer zu steigern. Unerledigte Aufgaben bleiben im Gedächtnis und sorgen dafür, dass Lernende bereitwillig mehr Zeit auf Plattformen verbringen und Kurse abschließen.
Indem du Fortschrittsbalken, Checklisten und Gamification-Elemente geschickt einsetzt, kannst du die Lernkurve positiv beeinflussen und das Engagement deiner Nutzer erhöhen.




