„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Dieses Zitat von Aristoteles beschreibt perfekt, was Generalisten ausmacht.
Generalisten sind Menschen, die sich an viele verschiedene Rollen, Branchen und Umgebungen anpassen und darin aufblühen können. Sie sind nicht auf eine einzige Spezialisierung beschränkt, sondern sammeln Expertise aus verschiedenen Bereichen und nutzen dieses vielfältige Wissen, um Probleme zu lösen und Neues zu erschaffen, zu innovieren.
Das unterscheidet sie klar von Spezialisten, die tiefes Fachwissen auf einem Gebiet sammeln und sich dort als Expertinnen und Experten etablieren.
Neo-Generalist, T-Shaped Generalist, X-Shaped-Generalist: Was ist der Unterschied?
In der Personalentwicklung unterscheidet man verschiedene Typen von Generalisten:
T-Shaped Generalist
Vielleicht hast du schon von T-Shaped Generalistinnen gehört. Sie sind Generalistinnen mit breitem Allgemein- und tiefem Expertenwissen in einem bestimmten Bereich.
Warum wird dieser Typ als „T“-Shaped bezeichnet?
Stell Dir dazu eine Mitarbeiterin im Marketing vor. Nennen wir sie Lisa. Lisa hat einen Bachelorstudiengang BWL mit dem Schwerpunkt Marketing absolviert und im Anschluss einige Jahre in einer Online-Marketing-Agentur tiefes Wissen in Bereich Suchmaschinenoptimierung erlangt:
- Die horizontale Achse des „T“ symbolisiert ihr breites Marketing-Wissen aus dem Studium.
- Die vertikale Achse des „T“ repräsentiert das tiefe Fachwissen in Bereich Suchmaschinenoptimierung.
Aber das ist nicht der einzige Typ von Generalist. Es gibt auch noch den X-Shaped Generalisten.
X-Shaped Generalisten
Die X-Shaped Generalisten erweitern das Profil des T-Shaped Generalisten um eine weitere Spezialisierung im Bereich Leadership, Coaching und Management. Das X symbolisiert die Schnittstelle zwischen den verschiedenen Bereichen.
Deutlicher wird das anhand unseres Beispiels: Lisa entscheidet sich, die Teamleitung zu übernehmen. Da ihr moderne Führung wichtig ist, beschäftigt sie sich intensiv damit, ihre Mitarbeitenden zu coachen und wird so nach und anch zur erfahrenen Führungskraft. Sie hat sich damit von einer T-Shaped zu einer X-Shaped Generalistin weiterentwickelt.
X-Shaped Generalisten sind besonders wertvoll für Führungsrollen oder für Rollen, in denen sowohl fachliches Know-How als auch Führungskompetenzen und strategisches Denken erforderlich sind. Sie sind damit die perfekte Brücke zwischen operativer Arbeit und strategischer Planung und tragen dazu bei, komplexe, multidisziplinäre Probleme zu lösen.
Neo-Generalisten
Neo-Generalisten gehen noch einen Schritt weiter als T- und X-Shaped Generalisten: Bei ihnen verschwimmen die Grenzen zwischen Spezialisierung und Generalisierung vollständig: Während T-Shaped und X-Shaped Generalisten klar definierte Expertise- und Wissensbereiche haben, agieren Neo-Generalisten also noch viel flexibler zwischen unterschiedlichen Disziplinen und Rollen.
Aber was bedeutet das konkret für die Praxis? Lass uns einen Blick auf die Stärken werfen, die Neo-Generalisten in die Arbeitswelt einbringen.
Die Stärken von Neo-Generalisten
Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Eine der ausgeprägtesten Stärken von Neo-Generalisten ist die Fähigkeit, sich schnell und flexibel an neue Herausforderungen anzupassen. Dazu tauchen sie tief in neue Themen ein und wechseln – je nach Anforderung – zwischen den Disziplinen hin und her. So stellen sie Verbindungen zwischen scheinbar unzusammenhängenden Disziplinen her. Eine weitere Stärke: Mit Unsicherheit, wie sie die heutige VUCA-Welt mit sich bringt, können Neo-Generalisten sehr gut umgehen.
Interdisziplinäres Denken und Handeln. Neo-Generalistinnen verbinden nicht nur Wissen aus unterschiedlichen Bereichen. Sie verschmelzen diese Bereiche auch aktiv und schaffen so neue Perspektiven und innovative Lösungen. Gerade in Projekten, die verschiedene Fachgebiete berühren, nutzen sie ihr breites Wissen, um Brücken zu schlagen und als Schnittstelle und Vermittler zu fungieren.
Kontinuierliches Lernen und Neugierde. „Warum lernst du denn schon wieder etwas Neues?“ Diese Fragen kennen Generalisten nur zu gut. Auch Neo-Generalisten zeichnen sich durch eine unstillbare Neugierde und den Drang aus, ständig Neues zu lernen. Damit sind sie oft diejenigen, die in neuen und aufstrebenden Bereichen (wie etwa KI) Expertise aufbauen und zu den Early Adopters und Innovatorinnen werden.
Die Schattenseiten des Generalisten-Daseins
Die Professorin Sarah Gierhan, selbst Generalistin und Expertin im Coaching von Generalisten, schätzt, dass nur etwa 10 Prozent der Menschen Generalisten sind. Das heißt: Auf jeden Generalisten kommen 9 Spezialisten. Diese zahlenmäßige Unterrepräsentierung führt in Unternehmen oft zu besonderen Herausforderungen für Generalisten.
Schwierigkeiten bei der Positionierung
Die eigene berufliche Identität zu definieren, ist wohl die größte Herausforderung für Generalisten. Viele kennen daher das mulmige Gefühl, wenn es darum geht, in wenigen Worten den eigenen beruflichen Werdegang wiederzugeben. Generalisten haben keinen einzelnen Beruf oder Schwerpunkt, der sich wie ein roter Faden durch ihren Lebenslauf zieht. Gleiches gilt für Jobbeschreibungen in Stellenanzeigen, die nur selten die Vielfalt an Skills ansprechen, die Generalistinnen im Rucksack haben. Nicht selten führt dies zu Unsicherheit und zum Impostor-Syndrom.
Leistungsbeurteilungen
Auch Leistungsbewertungen sind in traditionellen Unternehmen oft an messbare, fachspezifische Ziele und Erfolge geknüpft. Neo-Generalisten arbeiten jedoch oft an Schnittstellen und haben daher Schwierigkeiten, ihre Erfolge sicht- und messbar zu machen.
Ein Beispiel: In einem Projekt, das sowohl technisches Wissen als auch Marketing-Strategien erfordert, könnte der Neo-Generalist die Verbindung zwischen den Teams herstellen – eine Rolle, die schwer quantifizierbar, aber dennoch entscheidend ist. Oft zielt ihre Arbeit also auf Vernetzung, Zusammenarbeit und Innovationsförderung ab.
Um diesem Problem entgegenzuwirken, solltest du aktiv deine Erfolge sichtbar machen. Dokumentiere konkrete Ergebnisse, die aus deiner interdisziplinären Arbeit hervorgegangen sind, und zeige auf, wie deine Rolle zur Erreichung der Gesamtziele beigetragen hat. Regelmäßige Gespräche mit Vorgesetzten können helfen, deine Leistungen zu kommunizieren und ihre Bedeutung für das Unternehmen zu verdeutlichen.
Wertschätzung von Breite versus Tiefe
Traditionelle Strukturen schätzen tiefes Expertenwissen oft mehr als breit gefächertes Wissen. Spezialisten werden als „unverzichtbare“ Experten gesehen, die spezifische Probleme lösen können. Manchmal werden Neo-Generalisten als „eierlegende Wollmilchsau“, „Jack of all Trades – Master of None“ oder „Allrounder“ gesehen, deren breite Kompetenzen als weniger wertvoll bewertet werden.
Doch es gibt auch hier Lösungsansätze: Um die Wertschätzung für deine breite Expertise zu erhöhen, kannst du gezielt nach Projekten suchen, in denen deine Vielseitigkeit gefragt ist, und dich als Brückenbauer zwischen verschiedenen Disziplinen positionieren. So kannst du deine Fähigkeit, aus verschiedenen Bereichen Wissen zusammenzuführen, als einzigartige Stärke präsentieren, die dem Unternehmen einen klaren Vorteil verschafft.
Neo-Generalisten empfinden traditionelle Unternehmen, die stark auf Spezialisierung und Expertenwissen setzen, für sich oft als kulturell „nicht passend“. Denn wenn die Unternehmenskultur darauf ausgerichtet ist, Spezialisten zu fördern und zu belohnen, fühlen sich Neo-Generalisten häufig unterbewertet und haben Schwierigkeiten, ihren Platz zu finden.
Gibt es dafür eine Lösung? Ja. Und nein. Klar, im ersten Schritt kannst du über Projekte versuchen, Deine Stärken sichtbar zu machen. Wenn du aber das Gefühl hast, dass du auf Dauer in einem spezialisierten Umfeld nicht genügend Anerkennung findest und dich nicht wohl fühlst, dann bleibt manchmal nur ein anderer Ausweg: nach Unternehmen Ausschau zu halten, die eine interdisziplinäre Kultur fördern und die Vielseitigkeit von Mitarbeitern schätzen.
Hohe Anforderungen durch ständiges Lernen und Kontextwechsel
So sehr Neo-Generalisten den ständigen Wechsel zwischen Disziplinen und Aufgaben lieben – genau diese Flexibilität kann sie auch herausfordern.
Hohe Anforderungen an das Lernvermögen. Eine unstillbare Neugier und der Drang, ständig Neues zu lernen, sind typisch für Neo-Generalisten. Gleichzeitig kann diese ständige Lernkurve belastend für sie sein, da sie immer wieder von vorne beginnen und sich in neuen Bereichen zurechtfinden müssen. Mentale Erschöpfung kann eine Folge davon sein.
Gefahr der Selbstüberlastung. Neo-Generalistinnen sind oft in mehreren Projekten und Disziplinen gleichzeitig involviert, weil sie gerne viele verschiedene Aufgaben übernehmen und ihre Flexibilität voll ausschöpfen. Diese Vielseitigkeit bringt jedoch eine große Verantwortung mit sich, die zu einem hohen Erwartungsdruck führen kann – sowohl von außen als auch von ihnen selbst. Da es unmöglich ist, in allen Disziplinen gleichzeitig Experte zu sein, fühlen sich Neo-Generalisten manchmal, als würden sie den Anforderungen nicht vollständig gerecht werden.
Um dieser Überlastung vorzubeugen, ist es wichtig, dass du Prioritäten setzt und Aufgaben gezielt zu delegierst. Fokussiere dich auf die Bereiche, in denen du den größten Mehrwert bieten kannst, und kommuniziere klar, welche Aufgaben du übernimmst.
Langfristige Erschöpfung und Burnout. Der ständige Wechsel zwischen Aufgaben und Disziplinen, verbunden mit dem Druck, in vielen Bereichen erfolgreich zu sein, kann langfristig zu Erschöpfung führen. Neo-Generalisten sind aufgrund ihrer ständigen Anpassungs- und Lernbereitschaft besonders anfällig für Burnout. Die mentale und emotionale Belastung, die mit dieser Flexibilität einhergeht, solltest du nicht unterschätzen. Plane daher bewusst genügend Zeit für Erholung und Reflexion ein – und setze klare Grenzen, um deine Energie langfristig zu erhalten.
Warum die Arbeitswelt (Neo-)Generalisten braucht
Rasante technologische Entwicklungen, komplexe globale Märkte und ständige Veränderungen in den Geschäftsmodellen – in der sich schnell verändernden Welt von heute ist die Fähigkeit zur Anpassung wichtiger denn je. Hier zeichnen sich Neo-Generalisten aus.
Anpassungsfähigkeit und Förderung von Innovation
Die Geschwindigkeit des Wandels und der Unsicherheit in der heutigen Arbeitswelt erfordert Mitarbeitende, die flexibel und anpassungsfähig sind. Neo-Generalisten sind in der Lage, sich schnell auf neue Situationen, Technologien und Marktanforderungen einzustellen, da sie es gewohnt sind, sich ständig weiterzubilden und in verschiedenen Disziplinen zu arbeiten.
Neben ihrer Flexibilität bringen Neo-Generalisten noch etwas anderes mit, das in der modernen Arbeitswelt unerlässlich ist: die Fähigkeit, Innovationen voranzutreiben.Innovation entsteht oft an den Schnittstellen verschiedener Disziplinen. Neo-Generalisten, die in vielen Bereichen Kenntnisse besitzen und diese miteinander verknüpfen können, sind prädestiniert dafür, innovative Ideen zu entwickeln. Ihre Fähigkeit, verschiedene Perspektiven zu verknüpfen, macht sie in innovationsgetriebenen Branchen besonders erfolgreich.
Lösungskompetenz bei komplexen Problemen
Die Arbeitswelt steht zunehmend vor komplexen Herausforderungen, die nicht mehr durch einfache, spezialisierte Lösungen bewältigt werden können. Neo-Generalisten sind in der Lage, diese komplexen Probleme durch eine ganzheitliche Sichtweise anzugehen, da sie über ein breites Spektrum an Wissen und Erfahrung verfügen. Sie erkennen Zusammenhänge und Abhängigkeiten, die Spezialisten möglicherweise übersehen, und können daher umfassendere und nachhaltigere Lösungen entwickeln. Doch ihre Stärke liegt nicht nur in der Problemlösung. Neo-Generalisten spielen auch eine Schlüsselrolle dabei, alte Strukturen aufzubrechen.
Reduktion von Silodenken und Unterstützung agiler Arbeitsweisen
In traditionellen Unternehmen führen spezialisierte Abteilungen oft zu Silodenken, die isoliert arbeiten und Wissen nicht effektiv teilen. Neo-Generalisten tragen dazu bei, diese Barrieren zu überwinden, indem sie Wissen über Disziplinen hinweg verknüpfen und den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen fördern. Ressourcen werden so besser genutzt und Entscheidungsfindungen im gesamten Unternehmen optimiert.
Moderne Unternehmen setzen vermehrt auf interdisziplinäre (crossfunktionale) Teams, um komplexe Projekte zu bewältigen. Neo-Generalisten sind besonders gut darin, als Brückenbauer zwischen verschiedenen Disziplinen zu agieren. Denn sie bringen sowohl das Fachwissen als auch die Kommunikationsfähigkeit mit, um Teams zusammenzuführen. Sie erleichtern die Zusammenarbeit, indem sie Verständnis und Wissen aus verschiedenen Bereichen einbringen und so die Effizienz und Kreativität des Teams steigern.
Agile Methoden, die in der heutigen Arbeitswelt immer wichtiger werden, profitieren stark von der Vielseitigkeit von Neo-Generalisten. In agilen Teams, die Flexibilität und vielseitige Fähigkeiten brauchen, sind Neo-Generalisten oft die treibende Kraft. Sie wechseln mühelos zwischen verschiedenen Rollen, übernehmen neue Aufgaben und sorgen dafür, dass das Team flexibel bleibt und schnell auf Veränderungen reagiert.
Zukunftssicherung durch kontinuierliches Lernen und wirtschaftliche Effizienz
In einer Welt, in der lebenslanges Lernen zur Norm wird, sind Neo-Generalisten Vorreiter. Ihre unstillbare Neugier und ihr Drang, ständig Neues zu lernen, machen sie zu wertvollen Teammitgliedern in einer Zeit, in der Wissen schnell veraltet. Unternehmen profitieren von Neo-Generalisten, die nicht nur aktuell bleiben, sondern auch neue Trends und Technologien frühzeitig erkennen und implementieren können.
Durch ihre Fähigkeit, in mehreren Bereichen zu arbeiten und verschiedene Rollen zu übernehmen, können Neo-Generalisten Kosten für Unternehmen senken. Statt für jede Aufgabe spezialisierte Mitarbeiter einzustellen, können Unternehmen mit Neo-Generalisten vielseitige Rollen effizient besetzen und so Kosten sparen.
Du bist nicht allein: Unterstützung und Ressourcen für Neo-Generalisten
Fühlst du dich in einer Welt, die oft nur Spezialistinnen schätzt, manchmal fehl am Platz? Keine Sorge, deine Vielseitigkeit ist eine Stärke, die immer mehr gebraucht wird.
Und noch eine gute Nachricht: Du bist nicht allein. Mittlerweile gibt es zahlreiche Generalistinnen, die sich in Büchern und Blogs mit dem Dasein von (Neo-)Generalisten auseinandergesetzt haben. Eine Auswahl habe ich dir hier zusammengestellt (keine gesponserten Links).
Bücher
- Barbara Sher: Refuse to Choose (EN) oder Du musst Dich nicht entscheiden, wenn Du 1000 Träume hast (DE)
- Kenneth Mikkelsen und Richard Martin: The Neo-Generalist: Where you go is where you are (EN) – Stand 04/2025 leider nicht lieferbar 🙁
- Anne M. Schüller: Bahn frei für Übermorgengestalter
Blogs
- Sarah Gierhan (Tausendsassa Karrierecoach): Content-Happen für Vielseitige [Blog]
- Bernd Slaghuis (Karrierecoach): Karriereblog Perspektivwechsel
Podcasts
- Sarah Gierhan: Tausendsassa Podcast
Fazit
In einer sich stetig verändernden Welt sind Neo-Generalisten bestens gerüstet. Ihre Vielseitigkeit und Flexibilität sind genau das, was Unternehmen heute brauchen. Wenn du dich in vielen Bereichen zuhause fühlst, sieh das nicht als Schwäche, sondern als deine besondere Stärke. Die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszublicken und in unterschiedlichen Disziplinen zu arbeiten, macht dich zu einem wertvollen Akteur in der Arbeitswelt von morgen.




