Was steckt hinter der User Story?
User Stories stammen ursprünglich aus der agilen Softwareentwicklung – genauer gesagt aus dem Extreme Programming (XP), das in den 1990er-Jahren aufkam. Kent Beck war einer der ersten, die sie beschrieben haben. Mike Cohn hat sie später in seinem Buch “User Stories Applied” einem breiteren Publikum bekannt gemacht.
Die Grundidee: Statt lange Spezifikationen zu schreiben, arbeitet das Team mit kurzen, verständlichen Statements, die ein konkretes Nutzerbedürfnis beschreiben. Etwa so:
„Als Nutzer möchte ich mein Passwort zurücksetzen können, damit ich wieder Zugriff auf mein Konto habe.“
Für UX-Designerinnen und -Designer steckt hier ein riesiges Potenzial: User Stories bringen Struktur in komplexe Anforderungen und helfen, den roten Faden nicht zu verlieren. Gerade in frühen Phasen eines Projekts (z. B. nach ersten User Interviews oder Usability Tests) ermöglichen sie es, konkrete nächste Schritte zu formulieren, ohne sich sofort in technische Details zu verlieren.
Kurz gesagt: Sie machen das Nutzerbedürfnis greifbar – und das ist Gold wert im UX-Prozess.
User Story UX – Warum sie so entscheidend ist
Eine User Story zwingt uns dazu, die Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer einzunehmen. Statt: „Wir brauchen ein Dashboard mit 10 KPIs“, lieber: „Was muss die Nutzerin wirklich wissen, um gute Entscheidungen treffen zu können?“
Das klassische User-Story-Format – „Als [Rolle] möchte ich [Ziel], damit [Nutzen]“ – bringt uns direkt ins Denken der Menschen, für die wir gestalten. Es verschiebt den Fokus weg von der Lösung hin zum Problemverständnis.
Ein Beispiel aus dem E-Learning-Bereich:
„Als Lernende:r möchte ich sehen, wie lange eine Lektion dauert, damit ich mein Lernen besser planen kann.“
Das klingt banal – aber wie oft wird dieser Wunsch übersehen, weil man gleich ein fancy Fortschrittsbalken-Feature baut?
Oder im B2B-Bereich:
„Als Vertriebsmitarbeiter:in möchte ich sehen, ob mein Lead meine E-Mail geöffnet hat, damit ich den besten Zeitpunkt für den nächsten Kontakt kenne.“
Daraus wird keine „E-Mail-Tracking-Funktion“, sondern eine sinnvolle, kontextbasierte Anzeige – vielleicht eingebettet im CRM-Profil.
Wenn man User Stories weglässt, kommt schnell das „Geh mir weg mit deiner Lösung“-Gefühl auf – weil die Lösung nicht aus einem echten Bedürfnis heraus entstanden ist.
So schreibst du bessere User Stories für UX
Eine gute User Story ist wie ein Kompass. Und wie jeder gute Kompass braucht sie eine klare Struktur. Die INVEST-Kriterien helfen hier:
- Independent: Die User Story steht für sich und ist unabhängig von anderen User Stories.
- Negotiable: Sie ist kein Vertrag.
- Valuable: Sie bringt dem Nutzer oder der Nutzerin einen echten Mehrwert.
- Estimable: Man kann ihren Aufwand abschätzen.
- Small: Sie ist klein genug für eine Iteration, etwa einen Sprint-Zyklus von 2 Wochen
- Testable: Man kann prüfen, ob sie erfüllt wurde.
Aber wie kommst du im UX-Projekt zu diesen Stories?
Mini-Workshop-Idee: In 30 Minuten zur Story
Ein bewährtes Format in UX-Teams sieht so aus:
- Nutzerbedürfnisse sammeln: Nach einem Interview oder Test alle Beobachtungen als „Ich will…“-Statements auf Post-its schreiben.
- Clustern: Was gehört zusammen? Welche Bedürfnisse sind ähnlich?
- User Stories formulieren: Für jede Gruppe 1–2 Stories schreiben – nach dem klassischen Format.
Optional können die User Stories mit Personas und Akzeptanzkriterien angereichert werden. Das bringt noch mehr Tiefe.
Tipp: User Story Mapping (nach Jeff Patton) ist super, um aus einzelnen Stories ein gesamtes Nutzungsszenario abzuleiten.
Vom Sticky Note zur echten Empathie
Eine User Story ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Einstieg, ein Gesprächsöffner, ein Denkwerkzeug. Und sie wird stärker, wenn du sie mit echten Erkenntnissen aus dem User Research kombinierst.
Nehmen wir nochmal eine User Story aus dem E-Learning: „Als Erstnutzerin möchte ich wissen, was mich im Modul erwartet, damit ich nicht überfordert bin.“
Das kann der Ausgangspunkt für ein komplettes Onboarding sein: mit Vorschau-Videos, Zeitangaben, Navigationstipps – und dem Gefühl, willkommen zu sein.
Oder im Mobilitätsbereich: „Als Pendlerin möchte ich sehen, wie voll der Zug ist, damit ich eine gute Entscheidung treffen kann.“
Klingt erstmal technisch – aber UX denkt mit: Wie wird diese Info dargestellt? Wie aktuell ist sie? Ist sie auch barrierefrei abrufbar? So wird aus einem kleinen Sticky Note echte Empathie.
Fazit
User Stories helfen uns, nicht einfach loszudesignen, sondern zuerst zuzuhören. Sie sind der Anfang von echter User Centricity. Und das Beste: Sie sind einfach zu schreiben, aber enorm wirkungsvoll.
Wenn du das nächste Mal versucht bist, gleich in die Lösung zu springen – stoppe kurz und frag dich: Was braucht mein Nutzer wirklich? Und schreib eine Story dazu. Alles andere ergibt sich daraus.




