Dunning-Kruger-Effekt: Warum wir weniger wissen, als wir denken

Warum treffen kluge Menschen schlechte Entscheidungen? Und warum glauben manche, Experten zu sein, obwohl ihnen Wissen fehlt? Die Antwort liegt im Dunning-Kruger-Effekt – einer kognitiven Verzerrung, die in Unternehmen zu Fehleinschätzungen führt und Millionen kostet.
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Ob es um Produktentwicklung, UX-Design oder strategische Unternehmensentscheidungen geht – wenn Führungskräfte, Produktmanager:innen oder Designer:innen ihren Wissensstand falsch einschätzen, entstehen Fehlinvestitionen, ineffiziente Prozesse und schlechte User Experiences.

Doch warum passiert das? Und wie kann man dem entgegenwirken?

Was ist der Dunning-Kruger-Effekt?

1999 veröffentlichten die Psychologen David Dunning und Justin Kruger eine Studie, die zeigte: Menschen mit geringer Kompetenz in einem Bereich überschätzen sich stark, während erfahrene Personen ihre Expertise oft unterschätzen.

Um dies zu untersuchen, führten Dunning und Kruger mehrere Experimente durch. In einer Studie ließen sie Teilnehmer Aufgaben zu Grammatik, Logik und Humor lösen und baten sie anschließend, ihre eigene Leistung einzuschätzen. Das Ergebnis war eindeutig: Die Personen, die am schlechtesten abschnitten, hielten sich für überdurchschnittlich gut – während diejenigen mit den besten Ergebnissen ihre eigene Leistung oft unterschätzten.

Besonders auffällig war, dass die inkompetentesten Teilnehmer nicht nur ihre eigene Leistung überschätzten, sondern auch die Kompetenz anderer unterschätzten. Ihnen fehlte das Wissen, um zu erkennen, wie schlecht sie wirklich abgeschnitten hatten.

Gleichzeitig zeigten die kompetentesten Teilnehmer eine gewisse Selbstzweifel-Tendenz, da sie annahmen, dass ihr Wissen weit verbreitet sei. Dies ist auch als sog. Imposter- oder Hochstapler-Syndrom bekannt.

Diese Erkenntnisse führten zur Formulierung des Dunning-Kruger-Effekts: Wer wenig weiß, überschätzt sich – und wer viel weiß, zweifelt oft an seinem eigenen Können.

Beispiele für den Dunning-Kruger-Effekt aus dem Business-Alltag

Der Dunning-Kruger-Effekt tritt in Unternehmen auf allen Ebenen auf – von der Führungsetage bis hin zu Produkt- und Entwicklungsteams. Besonders gefährlich wird er, wenn Entscheidungsträger ihre eigene Kompetenz überschätzen und auf Basis falscher Annahmen handeln. Hier sind einige typische Szenarien, in denen sich der Effekt bemerkbar macht:

Führungskräfte überschätzen ihre UX-Kenntnisse. Ein CEO, der sich privat für Apps interessiert, glaubt, er könne UX-Entscheidungen treffen – ohne User Research oder Daten zu berücksichtigen. Das Ergebnis: Designänderungen basieren auf persönlichen Vorlieben statt auf Nutzerbedürfnissen.

Produktmanager glauben, sie kennen die Nutzer:innen. „Wir brauchen keine UX-Tests, wir wissen, was die Kunden wollen.“ Diese Einstellung führt dazu, dass Produkte an der Zielgruppe vorbeientwickelt werden, weil die Annahmen nicht mit echten Daten validiert wurden.

Startups sparen an UX, weil sie die Komplexität unterschätzen. Viele junge Unternehmen glauben, ein schönes Interface sei gleichbedeutend mit guter Usability. Sie verzichten auf User Research, weil sie denken, dass „intuitives Design“ aus dem Bauch heraus entsteht – bis die ersten Nutzer abspringen.

Diese Fehleinschätzungen können Unternehmen teuer zu stehen kommen, denn eine schlechte User Experience kostet nicht nur Geld, sondern auch Vertrauen und Marktanteile.

Wie Unternehmen mit dem Dunning-Kruger-Effekt umgehen können

Der Dunning-Kruger-Effekt ist tief in der menschlichen Psyche verankert, doch Unternehmen können gezielt Maßnahmen ergreifen, um Fehleinschätzungen und deren Folgen zu minimieren.

1. UX-Expertise in Entscheidungsprozesse integrieren

Oft treffen Führungskräfte und Produktmanager:innen UX-Entscheidungen, obwohl sie nur oberflächliches Wissen über User Experience haben. Unternehmen sollten deshalb sicherstellen, dass UX-Expert:innen von Anfang an in alle relevanten Projekte eingebunden werden.

Best Practice: Statt UX-Teams nur für „Feinschliff“ am Ende eines Projekts hinzuzuziehen, sollten sie von Beginn an mit am Tisch sitzen – etwa in Sprint-Planungen oder Strategie-Workshops.

2. Datenbasierte Entscheidungen fördern

Selbstüberschätzung basiert oft auf Bauchgefühl. Um den Dunning-Kruger-Effekt zu umgehen, sollten Unternehmen datengetriebene Entscheidungen priorisieren.

Best Practice:

  • A/B-Tests nutzen, um reale Nutzerdaten zu sammeln.
  • User Research und Analytics regelmäßig auswerten.
  • Entscheidungen nicht auf subjektiven Meinungen einzelner Stakeholder basieren lassen.

3. UX-Schulungen für Entscheidungsträger anbieten

Ein häufiger Grund für Fehleinschätzungen ist schlicht mangelndes Wissen. Unternehmen sollten gezielt UX-Schulungen für Führungskräfte und Produktteams anbieten, damit diese die Komplexität von UX-Design besser verstehen.

Best Practice:

  • Workshops mit UX-Expert:innen veranstalten, um Grundlagen zu vermitteln.
  • Produktteams regelmäßig an User Research teilnehmen lassen.
  • Fehlerkultur etablieren: Offen über Fehleinschätzungen sprechen und daraus lernen.

4. Feedback-Kultur und interne Design-Kritiken etablieren

Ein Unternehmen, das ehrliches Feedback zulässt, reduziert das Risiko von Selbstüberschätzung. Besonders wichtig ist eine starke UX-Feedback-Kultur, in der Designentscheidungen hinterfragt werden dürfen.

Best Practice:

  • Regelmäßige Design-Critiques einführen, bei denen UX-Designerinnen, Entwickler und Produktmanagerinnen Entwürfe gemeinsam bewerten.
  • Peer-Reviews für wichtige Produktentscheidungen etablieren.
  • UX-Teams befähigen, kritisches Feedback auch gegenüber höheren Hierarchieebenen zu äußern.

5. Strukturiertes Usability-Testing als Standardprozess

Um sicherzustellen, dass UX-Entscheidungen nicht auf falschen Annahmen beruhen, sollten Unternehmen strukturiertes Usability-Testing fest in ihre Prozesse integrieren.

Best Practice:

  • Usability Tests nicht nur einmalig, sondern kontinuierlich durchführen.
  • Testpersonen aus der echten Zielgruppe auswählen – nicht nur interne Mitarbeiter.
  • UX-Teams mit ausreichend Budget und Ressourcen für Research ausstatten.

6. Interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern

Selbstüberschätzung entsteht oft, wenn Teams isoliert arbeiten. Unternehmen sollten deshalb UX, Produktmanagement, Entwicklung und Marketing stärker miteinander vernetzen.

Best Practice:

  • Cross-funktionale Teams bilden, die gemeinsam an Produkten arbeiten.
  • Regelmäßige UX-Demos für verschiedene Abteilungen organisieren.
  • UX-Wissen in der gesamten Organisation teilen, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen.

7. UX-Erfolg messbar machen

Wenn UX-Teams ihren Erfolg nicht sichtbar machen, werden sie oft unterschätzt. Unternehmen sollten klare UX-KPIs definieren und deren Entwicklung regelmäßig kommunizieren.

Best Practice:

  • Wichtige UX-Metriken wie Task Success Rate, Time on Task oder Net Promoter Score (NPS) tracken.
  • Ergebnisse regelmäßig mit Management und Produktteams teilen.
  • UX nicht als „weichen“ Faktor sehen, sondern als klar messbaren Business-Impact.

Fazit

Der Dunning-Kruger-Effekt ist in der Business-Welt allgegenwärtig. Besonders im UX-Design und in der Produktentwicklung kann er dazu führen, dass falsche Entscheidungen getroffen werden, weil Wissen überschätzt oder Forschung ignoriert wird.

Unternehmen, die UX-Expertise in Entscheidungsprozesse integrieren, datenbasierte Methoden nutzen und eine starke Feedback-Kultur etablieren, können diesem Effekt gezielt entgegenwirken – und letztlich bessere Produkte für ihre Nutzer entwickeln.